In Barwedel Bogen bauen wie seit der Steinzeit
Gifhorner Rundschau 18.08.2012
Von Erik Westermann
Barwedel Meike Lietz-Butzer aus Barwedel ist Profi-Bogenbauerin - die einzige Deutschlands.
Im Garten hinter der Werkstatt zwitschern die Vögel. In einer fließenden Bewegung legt Lietz-Butzer den Pfeil auf, spannt den 34-Pfund-Langbogen aus Flatterulme, visiert die Zielscheibe an – und lässt das Geschoss doch nicht von der Sehne schnellen. Das Schießen sei nicht ihre Stärke, sagt die 47-Jährige. Sie ist vielmehr „eine Holz-Person“ – die gelernte Drechslerin und studierte Möbeldesignerin ist die einzige professionelle Bogenbauerin Deutschlands.
Von überall reisen Menschen zu ihren Wochenendseminaren in das kleine Barwedel. Um zu lernen, wie den Rohlingen aus Ulme, Eibe oder Robinie der bestmögliche Bogen herauszuschmirgeln ist, wie sich die Gegebenheiten des Holzes integrieren lassen. Manager großer Konzerne und ganze Abteilungen kommen zu ihr. Sie backen Pizza im Steinofen der Werkstatt, schlafen im ausgebauten Zirkuswagen neben einer Weide mit Alpacas und Gotland-Schafen. Und sind begeistert.
Mit den hochtechnisierten Werkzeugen moderner Sportschützen haben ihre Geräte wenig zu tun. Lietz-Butzer bearbeitet das Massivholz von Hand. Zielvorrichtungen gibt es nicht. Es sind traditionelle Bogen, „wie sie schon unsere Vorfahren gemacht haben“. Und wer keinen eigenen bauen will, der kann auch einen von ihren erwerben.
Jedes Stück wird in Länge und Zugkraft individuell auf seinen Nutzer ausgerichtet. Wenn der Rohling zurechtgesägt ist, wird Stück für Stück, Span für Span abgetragen, bis die richtige Form und Spannkraft erreicht ist. Mit Zieheisen, Messer, Hobel, Raspel, Feile und immer feiner werdendem Schleifpapier werden Jahresringe, Wölbungen und Ausbuchtungen im Holz freigelegt, wird der Millimeter zur größten Maßeinheit der Veränderung. Zwei Tage braucht es bis zur Fertigstellung. „Der Bau lässt sich von Anfang bis Ende nachvollziehen – was ja heutzutage selten ist.“
Dutzende Fachbücher stehen in ihrer Werkstatt. Aus dem Stegreif referiert Lietz-Butzer über den 8000 Jahre alten, hochentwickelten Holmegaard-Steinzeitbogen, den sie derzeit nachbaut. Sie schwärmt von den Eigenschaften der Bergulme, die in Höhen jenseits der 1000 Meter wächst, von den Eigenheiten verschiedener Bogenformen und Verjüngungskurven. Und hält ein eigenes Patent: Eine unsichtbare Schraubverbindung für einen teilbaren Bogen, bei der ihr Sohn geholfen hat. Er ist Büchsenmacher, die Tochter: bildende Künstlerin mit Schwerpunkt Holz. Ihr Mann: Tischler.
Hunderte Bogen-Rohlinge lagern in den Schuppen. Werkstatt, Wohnbereich und Verkaufsraum gehen ineinander über: Holz wohin man guckt. Es ist, als lebte diese Villa, als könnten aus den Wänden und Decken jederzeit neue Triebe sprießen. Beton, Metall, Kunststoff: Mangelware.
Die 47-Jährige kam durch den Sohn zu diesem Handwerk. Er wollte das Schießen ausprobieren – sie fraß sich ins Thema, studierte Bau-Anleitungen, unternahm erste Gehversuche – anfangs mit vielen Misserfolgen. Ganz anders als heute.
Sie fasziniert die Individualität des Werkstoffes, „jedes Stück ist anders“. Eine andere Maserung, Äste, eine andere Farbe. Und im Vergleich zu den Feldern Möbelbau und Kunsthandwerk, auf denen sie ebenfalls aktiv ist, hat der Bogenbau einen anderen Charakter. „Man ist näher am Material und immer erstaunt, wenn man denkt: Eigentlich hätte er längst brechen müssen.“
Deutschlandweit ist eine eigene Szene um das traditionelle Bogenschießen gewachsen. Es gibt gar eigene Zeitschriften. Und einmal pro Jahr kommen Workshop-Absolventen mit ihren Eigenbauten nach Barwedel, um ein Wochenende lang auf einem fünf Hektar großen Areal gemeinsam anzulegen. Auch vom fahrenden Trecker aus – ein galoppierendes Pferd wäre zu gefährlich.
„Man kommt zur Ruhe bei dieser Art des intuitiven Schießens“, sagt Lietz-Butzer, „denkt an nichts anderes und ist ganz bei sich.“ Für den Bogenbau scheint nichts anderes zu gelten.